Zu dieser Alterststufe kann ich diesmal zwar noch nicht aus eigener Erfahrung als Mutter berichten (meine älteste Tochter ist erst knapp 10 Jahre alt und kommt demnächst in die Vorpubertät), aber aus meiner sozialpädagogischen und psychotherapeutischen Erfahrung heraus möchte ich trotzdem auch zu dieser Entwicklungsstufe einen kleinen Beitrag schreiben.
Kannst du dich noch an deine eigene Jugend erinnern? Hast du gerade ein oder mehrere pubertierende Kinder zuhause? Dann versuche einmal nachzuvollziehen:
Das Gehirn eines pubertierenden Kindes wird in dieser Zeit noch einmal zu einer „Totalbaustelle“. Neue synaptische „Leitungen“ für den Transport von Gedanken und Gefühlen werden verlegt und entwickelt. Dieser „Umbau“ im Gehirn erfolgt nicht gleichmäßig, sondern unterschiedliche Entwicklungen brauchen unterschiedlich lange, z.B. gehen die Umbauarbeiten im Bereich der Bewegung schneller voran als jene in der räumlichen Orientierung oder im logischen Denken. Als letztes sind die Gehirnregionen im Frontallappen, also für das Planen, Abwägen von Folgen und Unterdrücken von Impulsen dran.
Merkst du schon, worauf ich hinauswill? ;-) Der körperliche Reifungsprozess überholt die Entwicklung im Kopf und wer erwachsen aussieht muss dies innerlich noch lange nicht sein.
Gerade hochsensitive Jugendliche reagieren auf diese enorme körperliche und damit einhergehende Umstellung und Gehirnentwicklung in der Pubertät besonders sensibel und intensiv, somit fallen die „üblichen“ Pubertätsbeschwerden bei ihnen oft um einiges stärker aus als bei ihren weniger sensiblen KollegInnen:
- Ungeschicklichkeit: Die Körperteile wachsen unterschiedlich schnell und der/die HSJ muss erst mit seinem neuen Körper zurechtkommen.
- Kreislaufprobleme: Das Herz kann noch nicht Schritt halten mit den Anforderungen des gewachsenen Körpers. Niedriger Blutdruck und Kreislaufprobleme bis hin zur Ohnmacht sind die Folge.
- Wachstumsschmerzen: Hauptsächlich sind die langen Röhrenknochen in den Beinen betroffen. Die Schmerzen treten oft nachts auf. Wärme und Massagen können helfen.
- Infektanfälligkeit: Das massive Wachstum schwächt das Immunsystem. Manche HSJ sind über Monate hinweg ständig krank.
- Stimmungsschwankungen: Gehirnwachstum und Hormone sind für rasch wechselnde Launen verantwortlich.
- Müdigkeit und Konzentrationsschwäche: Dagegen helfen viel Schlaf (mindestens 9 h) und Vitamin B1 und A (aus Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten).
Auch etwaige äußerliche Umstandsänderungen (wie z. B. ein Schulwechsel in eine weiterführende Schule oder der Beginn einer Lehre oder auch die Belastungen durch die Maßnahmen wegen Covid-19) stellen für hochsensitive Jugendliche oftmals eine besonders belastende Herausforderung dar.
Tipps für den Umgang mit deinem hochsensitiven Teeanager:
1. Achte darauf, dass dein pubertierendes hochsensitives Kind ein Vertrauensverhältnis zu einem Erwachsenen aufbauen kann – das musst nicht unbedingt DU sein! (Die Person sollte aber – wenn möglich – mit dem Thema Hochsensitivität vertraut sein.)
2. Du kannst durch vorsichtige Bemerkungen am Rande deine/n hochsensitive/n Jugendliche/n immer wieder darauf hinweisen und eigene Beispiele nennen, wie sie bei Überstimulation diese in den Griff bekommen könnten.
3. Äußere bei jeder passenden Gelegenheit Zuneigung und Lob, auch wenn ältere hochsensitive Kinder das ungern zugeben, sie freuen sich immer wieder darüber!
4. Ermutige den angeborenen Hang zur Reflexion deines HSJ.
5. Bringe bei jeder auftretenden Gelegenheit Vertrauen statt Sorge oder Zweifel zum Ausdruck, hochsensitive Jugendliche neigen sehr oft zu übermäßigen (und oftmals pessimistischen) Gedanken über die Zukunft.
6. Akzeptiere das Bedürfnis deines hochsensitiven Teenagers nach Autonomie und Ablösung! (Die Bindung hochsensitiver Kinder zu ihren Eltern bleibt unter liebevollen Umständen meistens sowieso bis weit ins Erwachsenenalter bestehen.)
7. Überlasse deinem HS Jugendlichen so viel Verantwortung wie möglich (z. B. Kleidung, Ess- und Schlafgewohnheiten, Planung von Freizeitaktivitäten und häuslichen Pflichten). Viele hochsensitive Menschen plagen sich noch als Erwachsene damit, die für sie „richtigen“ Entscheidungen zu treffen - lass deinem Kind Raum und Gelegenheiten zum „Üben“!
8. Sollte es notwendig sein, so sucht gemeinsam Hilfe bei der Bewältigung schulischer und sozialer Hürden (Verständnis bei Umstellungsschwierigkeiten, bei Kränkungen durch LehrerInnen oder KlassenkollegInnen, Unterstützung bei Hausaufgaben, Ermöglichen von Nachhilfe etc.).
Ich wünsche dir für diese schwierige Zeit der Begleitung Geduld, Gelassenheit und tiefes Vertrauen. :-) Bis bald wieder!
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